Technische Schuld als strukturelles Risiko im Gesundheitswesen
In der Diskussion um Digitalisierung im Spitalumfeld liegt der Fokus häufig auf Innovation: neue Tools, neue Plattformen, neue Strategien. Weniger Beachtung findet das, was schon vorhanden ist – aber nicht (mehr) tragfähig: Legacy-Systeme, die zentral für die täglichen Abläufe sind, aber nicht mehr in moderne Architekturprinzipien und Versorgungslogiken passen und zukunftsorientierte Projekte blockieren.
Diese Systeme sind nicht nur ein Kostentreiber für Wartung und Betrieb. Sie stellen eine zunehmende Gefahr für Versorgungsfähigkeit, Interoperabilität und auch Cybersicherheit dar. Dazu blockieren sie eine strukturierte Weiterentwicklung auf Architektur- und Prozessebene.
Die drei Hauptprobleme von Legacy-Systemen
1. Strukturelle Nicht-Anschlussfähigkeit
Viele Altanwendungen im klinischen Betrieb basieren auf proprietären Datenmodellen und monolithischen Softwarearchitekturen. Dadurch entsteht ein dauerhafter Integrationsaufwand – oder eine funktionale Isolation einzelner Systeme.
Diese Systeme lassen sich nur mit aufwändigen Workarounds (z. B. proprietären Exporten) an moderne Plattformen anbinden. Das schränkt nicht nur die semantische Interoperabilität ein, sondern verhindert auch die Nutzung von standardbasierten Komponenten wie HL7 FHIR, IHE-Workflows oder semantischen Services.
2. Technische Schuld und Ressourcenbindung
Wartungskosten für Legacy-Systeme sind oft höher als der eigentliche Funktionswert der Anwendung. Der Grund liegt nicht nur in veralteter Technologie, sondern im Abhängigkeitssystem, das sich um diese Altsysteme bildet: individuelle Schnittstellen, Betriebsknow-how bei Einzelpersonen, Inkompatibilitäten bei Upgrades etc.
Diese technische Schuld wirkt als strukturelle Last für IT-Organisationen: Ressourcen werden für Stabilisierung gebunden statt für Transformation frei gemacht. Gleichzeitig entstehen operative Risiken – etwa durch fehlende Updatezyklen oder mangelnde Kompatibilität mit Security-Standards (z. B. NIS2 oder ISO 27001).
3. Blockade moderner Versorgungsprozesse
Legacy-Systeme behindern den Aufbau datengetriebener Versorgungsprozesse. Entscheidungsunterstützung, sektorenübergreifende Informationsflüsse und Public-Health-Auswertungen basieren auf strukturierter, semantisch eindeutiger Information. Altsysteme liefern meist nur unstrukturierte, kontextlose Daten – oft in Form von PDFs, Screenshots oder Freitext.
Damit bleiben moderne Versorgungskonzepte wie longitudinales Patientendatenmanagement, EPD-Integration oder automatisierte Qualitätssicherung unerreichbar.
Fazit: Ablösung ist keine Option – sondern Governance-Verantwortung
Legacy-Systeme stellen kein rein technisches, sondern ein infrastrukturelles Problem dar. Sie gefährden nicht nur die Effizienz, sondern die strategische Handlungsfähigkeit von Spitälern und Leistungserbringern.
Die Ablösung solcher Systeme muss nicht abrupt erfolgen – wohl aber architekturbewusst geplant, governance-basiert priorisiert und interoperabilitätsfähig umgesetzt werden.