Die kleinen und grossen Krisen der letzten Zeit brauchen Antworten, die Unternehmen schnell und trotzdem langfristig stärken. Jason Lee Manser, Founder und CEO der MDS Digital AG, über die Risiken einer halbherzigen Digitalisierung und ganzheitliche Strategien, die die tägliche Arbeit der Mitarbeitenden tatsächlich erleichtern und absichern.
Herr Manser, wie sieht ein Unternehmen nach einer gelungenen Transformation aus? Was hat sich geändert und verbessert?
Die digitale Transformation ist kein Prozess, der irgendwann abgeschlossen ist – vielmehr handelt es sich um einen fortlaufenden Wandel. Durch die Implementierung neuer digitaler Werkzeuge sowie die Anpassung und Modernisierung von Prozessen können Aufgaben effizienter und präziser erledigt werden. Routinetätigkeiten wie administrative Aufgaben werden durch Automatisierung und Digitalisierung erleichtert, sodass Mitarbeitende mehr Zeit für ihre eigentlichen Kernaufgaben haben. Dies bedeutet beispielsweise einen stärkeren Fokus auf wertschöpfende Tätigkeiten und menschliche Interaktion.
Welche Branchen stehen momentan unter einem besonderen Innovationsdruck?
Es ist, wie schon Schiller schrieb: «Wer nicht mit der Zeit geht, geht mit der Zeit.» Der Innovationsdruck ist branchenübergreifend zu spüren. Unternehmen und Organisationen, die sich nicht an neue Technologien, veränderte Marktbedingungen und steigende Kundenerwartungen anpassen, riskieren, den Anschluss zu verlieren. Der spezifische Erfolg einer Innovation hängt massgeblich davon ab, wie gut Mitarbeitende in diesen Wandel integriert und befähigt werden. Es ist entscheidend, von Anfang an strategisch vorzugehen und klare Ziele zu setzen. Letztlich ist es die Kombination aus Technologie und menschlicher Kompetenz, die den langfristigen Erfolg sichert.
Wie wichtig ist der «Human Factor», um Veränderungen anzugehen und diese mithilfe technischer Tools zu implementieren?
Im Fokus der Veränderung muss ein klares Ziel stehen; Veränderung um der Veränderung Willen bringt selten das Resultat, das in der Investition erhofft wurde. Gleich verhält es sich mit der Digitalisierung. Wer einen schlechten Prozess digitalisiert, erhält einen schlechten digitalen Prozess. Die Menschen zu fragen, die diese Prozesse tatsächlich ausführen, bringt dabei den enormen Mehrwert, die Herausforderungen frühzeitig zu erkennen und von Anfang an miteinzukalkulieren.
Inwiefern zieht die Digitalisierung eines schlechten Prozesses weitere Gefahren oder Probleme nach sich? Gibt es dazu ein Beispiel?
Im besten Fall bleibt der Mehrwert aus, im schlechtesten Fall kommen zu den Investitionskosten noch hohe Unterhaltskosten oben drauf; das alles begleitet von einer niedrigen Akzeptanz der Endnutzer. Viele Organisationen sind sehr eingefahren in Ihre personellen wie prozessualen Strukturen. Schlechte Prozesse sind dann häufig das Ergebnis von schlecht skaliertem Wachstum; kleine Abteilungen, die früher eng zusammengearbeitet haben sind gewachsen, Aufgabenfelder haben sich fokussiert, Abteilungsübergreifende Prozesse aber nur minimal adaptiert. Unserer Erfahrung nach lohnt es sich, sich vor der vermeintlichen Verbesserung eines Prozesses durch eine Digitalisierungsmassnahme einmal genau zu fragen, was genau die am wenigsten effizienten Punkte des Prozesses sind. Sind es tatsächlich repetetive oder besonders monotone Arbeitsschritte, die sich durch Tools vereinfachen lassen, oder ist es eher ein Prozess Problem, wie beispielsweise überbürokratische Iterationen von Genehmigungen oder wenig durchdachte Reihenfolgen der Arbeitsschritte. Wenn eine Rechnung zur Freigabe beispielsweise durch 6 Paar Hände gehen muss, wird auch mit der Einführung einer digitalen Signatur der Aufwand nicht geringer. Stattdessen erfolgt nun zum Beispiel für jede Unterschrift zusätzlich noch eine 2 Faktor Authentifizierung am Handy, was den Prozess noch weiter aufbläst. Dann benötigt die interne IT-Abteilung für die Einführung und Betreuung des Tools vielleicht noch externe Unterstützung und zahlt darüber hinaus auch noch hohe jährliche Lizenzgebühren.
Unternehmen müssen mehr Zeit darin investieren Ihre bestehenden Prozesse und Arbeitsschritte zu optimieren, und Tools wie die Digitalisierung oder irgendwelche Methoden nicht als Allheilmittel zum Selbstzweck, sondern als Mittel zum Zweck sehen. Denn nur so bringen sie auch den gewünschten Effekt.
Sie beschreiben in einem Beitrag auf der Website Ihres Unternehmens die Kluft zwischen einer ausgefeilten Technik und den Bedürfnissen der Nutzer. Wie kann eine solche «oberflächliche Digitalisierung» vermieden werden?
Die Motive der Entscheidungsträger sind nicht immer die gleichen wie die der Nutzer. In der freien Marktwirtschaft werden häufig Lösungen wie auch Partner aufgrund ihres Trendcharakters oder ihres Markenauftritts gewählt. In vielen Fällen, und insbesondere je grösser das Unternehmen wird, geschieht dies dann, bevor überhaupt eine Anforderung gestellt wird. Dies bringt alle nicht in die Entscheidung involvierten Parteien in einen Zugzwang und hat eine negative Resonanz, insbesondere bei den Nutzern, zur Folge. Es ist deshalb wichtig, mit den Nutzern einer Lösung vorzeitig das Gespräch zu suchen. Entscheidungsträger können sich die Frage stellen, welchen Effekt sie sich mit der Einführung einer Lösung erhoffen. Ist es die Steigerung der Produktivität? Geht es um Arbeitserleichterung oder eine reine Modernisierungsmassnahme? Mit der betroffenen Nutzergruppe können dann Massnahmen und Tools definiert bzw. ausgewählt werden. Zentrales Element einer erfolgreichen Transformation ist dann die allgemeine Akzeptanz der Lösung. Nur so wird der gewünschte Effekt eintreten.
Dass Mitarbeitende in Entscheidungsprozesse einbezogen werden, ist in manchen Bereichen durchaus neu. Müssen also auch die Geschäftsführungen geschult werden, um ihre Mitarbeitenden in dieser Hinsicht experimentierfreudiger zu machen?
Ja, um Mitarbeitende stärker in Entscheidungsprozesse einzubeziehen, müssen oft auch die Führungskräfte umdenken und neue Kompetenzen entwickeln. Für viele Unternehmen ist es ungewohnt, den Mitarbeitenden mehr Mitspracherecht und Gestaltungsfreiheit zu gewähren. Schulungen für die Geschäftsführung können dabei helfen, eine offenere, partizipative Führungskultur zu fördern, indem sie Führungskräfte ermutigen, experimentierfreudiger zu werden, Vertrauen in die Fähigkeiten und Prozesskenntnisse der Mitarbeitenden aufzubauen und Raum für innovative Ansätze zu schaffen. Viele Unternehmen haben dazu auch bereits erste Schritte unternommen, indem sie Innovation Hubs oder Programme zur kontinuierlichen Verbesserung etabliert haben. Diese schaffen wertvolle Plattformen für kreative Ideen. Der entscheidende Faktor ist jedoch, dass der Wandel nicht bei der Ideenfindung stehen bleibt. Der Übergang von der Idee zu einem umsetzbaren Konzept und schliesslich zur praktizierten Lösung muss durch klare Prozesse, Ressourcen und eine gewisse Risikobereitschaft unterstützt werden, um echte Veränderungen zu ermöglichen.
Kann eine Krisenresistenz überhaupt funktionieren, wenn die Mitarbeitenden nicht wissen, wofür technische Neuerungen oder Systeme stehen oder wie sie funktionieren?
Technologie spielt in der Krisenresistenz eine interessante Rolle. Einerseits ist sie häufig ein Treiber der Disruptionen und damit Mitverursacher von Krisen, andererseits ein Werkzeug zur Bewältigung dieser. Damit Technologie in Krisenzeiten effektiv eingesetzt werden kann, ist es entscheidend, dass die Mitarbeitenden die Lösungen sowohl verstehen als auch akzeptieren. Ohne dieses Wissen sind schnelle und flexible Reaktionen auf Herausforderungen kaum möglich, was die Krisenresistenz erheblich schwächt.
Sie erwähnen immer wieder, Mitarbeitende zu inkludieren. Was heisst das konkret?
Vor der Implementierung einer technischen Lösung ist es von grosser Bedeutung, sowohl aus der Perspektive der Entscheidungsträger als auch der Nutzer klare Anforderungen zu definieren und einen konkreten Anwendungsfall festzulegen. Gleichzeitig sollten gut durchdachte Prozesse im Fokus stehen, um sicherzustellen, dass die Mitarbeitenden die neuen Technologien effizient einsetzen können. Auch die Förderung der Digital Literacy spielt dabei eine zentrale Rolle, insbesondere auch für Mitarbeitende ohne direkten IT-Hintergrund. Es ist entscheidend, dass alle Mitarbeitenden grundlegende digitale Fähigkeiten für den sicheren Umgang mit digitalen Tools entwickeln und den Umgang mit neuer Software schnell und effektiv erlernen. Interne Schulungsprogramme sind hier ein Ansatz. Sie fördern nicht nur analytisches und lösungsorientiertes Denken, sondern befähigen Mitarbeitende auch dazu, technologische Potenziale zu erkennen und sinnvoll in ihre Arbeitsabläufe zu integrieren. Darüber hinaus stärken sie die Zusammenarbeit zwischen IT- und Nicht-IT-Abteilungen, da sie die Kommunikation erleichtern und eventuelle Vorurteile gegenüber neuen Technologien abbauen. So steigt die Bereitschaft, sich aktiv in die digitale Transformation einzubringen und innovative Lösungen zu unterstützen.
Interview: Rüdiger Schmidt-Sodinge, Distributor: Tagesanzeiger