Digitale Doppeldokumentation: Ursachen, Folgen und Wege zur Reduktion

Digitale Doppeldokumentation: Ursachen, Folgen und Wege zur Reduktion

Die Digitalisierung klinischer Prozesse hat vielerorts nicht zur erhofften Effizienzsteigerung geführt – im Gegenteil: Die Zahl paralleler, teils redundanter Dateneingaben nimmt spürbar zu. Ärztliches und pflegerisches Personal berichtet von erheblichem Zeitverlust durch Mehrfacheingaben in nicht miteinander verbundenen Systemen. Die digitale Doppeldokumentation ist damit kein Nebenprodukt mangelhafter Systemintegration, sondern ein strukturelles Symptom fehlender Prozessharmonisierung.

Ursachen: Fragmentierte Systeme, funktionale Trennung, fehlende Semantik

Redundante Dateneingaben entstehen meist nicht aus Nachlässigkeit, sondern aus funktionalen Notwendigkeiten. Drei strukturelle Ursachen lassen sich regelmässig beobachten:

  • Systembrüche und Medienwechsel: In vielen Spitälern existieren parallele Systeme für medizinische Dokumentation, Pflegeplanung, Leistungserfassung und Qualitätssicherung. Diese Systeme sind entweder nicht oder nur unzureichend interoperabel verbunden. Daten müssen deshalb manuell zwischen Systemen übertragen werden – oft mit Anpassungen an das jeweilige Zielformat.
  • Funktionale Silostrukturen: Klinische Fachbereiche, Pflege und Administration nutzen teils eigenständige Softwarelösungen, die sich an bereichsspezifischen Anforderungen orientieren. Weil übergeordnete Referenzprozesse fehlen, kommt es zu mehrfacher Erfassung identischer oder leicht variierter Inhalte in unterschiedlichen Applikationen.
  • Fehlende semantische Standardisierung: Selbst bei technischer Kopplung können Inhalte nicht direkt übernommen werden, wenn Begrifflichkeiten, Strukturen oder Zeitkontexte nicht eindeutig definiert sind. Dies betrifft insbesondere Verlaufsnotizen, Medikationen und Vitalwerte.

Folgen: Belastung, Qualitätseinbussen und institutionelle Intransparenz

Die Folgen digitaler Doppeldokumentation sind nicht nur ineffiziente Arbeitsabläufe, sondern strukturelle Risiken:

  • Zeitverlust und Arbeitsfrustration: Klinisches Personal wendet täglich Zeit für redundante Tätigkeiten auf, die weder dem Patientenwohl noch der Versorgungsqualität dienen. Dies belastet nicht nur die Versorgung, sondern wirkt sich negativ auf die Zufriedenheit und das Vertrauen in digitale Systeme aus.
  • Qualitätsrisiken: Mehrfacheingaben erhöhen das Risiko inkonsistenter Dokumentation. Abweichungen zwischen Systemen erschweren die Nachvollziehbarkeit klinischer Entscheidungen und können im Ernstfall haftungsrelevant werden.
  • Intransparente Datenlandschaften: Daten existieren in mehrfacher, teils divergierender Form. Dies erschwert nicht nur operative Steuerung und Forschung, sondern auch die Einhaltung regulatorischer Anforderungen (z. B. EPDG, revDSG).

Wege zur Reduktion: Prozessharmonisierung und technische Entkopplung

Die Reduktion redundanter Dokumentation erfordert eine Kombination aus organisatorischer Prozessgestaltung und technischer Systementwicklung:

  • Referenzprozesse und Schnittstellenverantwortung: Ausgangspunkt ist die Definition bereichsübergreifender Standardprozesse, die eindeutig festlegen, an welcher Stelle welche Information primär erfasst wird – und wie sie anschliessend weitergegeben wird. Dafür braucht es klare Schnittstellenverantwortung, institutionell verankert.
  • Systemarchitektur entflechten: Nicht alle Systeme müssen alles können. Entscheidender ist, dass Systeme eindeutig definierte Rollen übernehmen und ihre Daten an zentrale Plattformen oder semantisch standardisierte Schnittstellen übergeben – z. B. mittels FHIR-Profilen oder IHE-Transaktionen.
  • Benutzerzentrierte Eingabe-Workflows: Dokumentation darf nicht als technischer Zwang, sondern muss als integrierter Bestandteil klinischer Arbeitsprozesse verstanden werden. Das bedeutet: kontextsensitive Benutzeroberflächen, automatische Vorbefüllung, konsistente Datenmodelle – und enge Einbindung der Endanwender:innen in das Systemdesign.

Fazit: Reduktion von Doppeldokumentation als strategische Aufgabe

Digitale Doppeldokumentation ist kein vorübergehendes Problem einzelner Systeme, sondern Ausdruck eines tieferliegenden Strukturversagens. Spitäler, die dieses Problem ernst nehmen, müssen an den Ursachen ansetzen: fehlende Prozessharmonisierung, fragmentierte Systemarchitektur und mangelnde semantische Standards.

Die Reduktion redundanter Eingaben ist keine technische Optimierungsaufgabe, sondern ein strategisches Steuerungsziel – mit direktem Einfluss auf Versorgungsqualität, Personalbindung und Digitalisierungserfolg.

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