Die Digitalisierung klinischer Versorgung bringt nicht nur Effizienzgewinne, sondern auch eine zunehmende Spezialisierung der Applikationslandschaften mit sich. Insbesondere in mittleren und grossen Spitälern beobachten wir eine wachsende Zahl fachbereichsspezifischer Softwarelösungen – oft eingeführt als punktuelle Antwort auf präzise Anforderungen medizinischer Leistungserbringer.
In vielen Fällen sind diese Anwendungen so eng mit der klinischen Logik verzahnt, dass ihre Einführung, Betreuung und teilweise sogar ihr Betrieb direkt durch Fachbereiche erfolgt – häufig ohne systematische Einbindung der zentralen IT. Dieser Trend ist Ausdruck eines strukturellen Spannungsfeldes: zwischen berechtigtem klinischem Bedarf und begrenzter organisatorischer Tragfähigkeit im Applikationsmanagement.
Fragmentierung als organisatorisches Risiko
Der Einsatz fachbereichseigener Applikationen führt mittelfristig zu einer Reihe systemischer Herausforderungen:
- Fehlende Standardisierung: Unterschiedliche Datenformate, Zugriffsmodelle und Schnittstellen erschweren Integration, Migration und Wartung. Die Interoperabilität zum KIS bleibt oft eingeschränkt oder bruchstückhaft.
- Intransparente Verantwortlichkeiten: Wenn Fachabteilungen selbst Applikationen betreiben, verschwimmen Governance-Strukturen. Wartungszyklen, Sicherheitsupdates und Supportprozesse sind oft nicht institutionell abgesichert.
- Sicherheitsdefizite: Eigenbetriebene oder nur teilintegrierte Systeme fallen nicht immer unter das zentrale Sicherheitsmonitoring. Insbesondere bei Webapplikationen entstehen so relevante Angriffsflächen – oft ohne systematische Risikoanalyse gemäss ISO 27001 oder B3S.
- Pflege- und Nachfolgelasten: Applikationen, die historisch durch einzelne Schlüsselpersonen betreut wurden, bergen hohe Abhängigkeiten. Der Abgang von Wissensträgern führt zu Systemstillstand oder hohen Reintegrationskosten.
Lösungsansätze: Konsolidierung, Lifecycle-Governance, partizipatives IT-Targeting
Ein zukunftsfähiges Applikationsmanagement benötigt nicht mehr Kontrolle, sondern bessere Strukturierung:
- Application Portfolio Management (APM) schafft Transparenz über Zweck, Nutzerkreis, Integrationsgrad und technische Abhängigkeiten aller eingesetzten Anwendungen. Diese Portfolios sind Grundlage für Investitionsplanung, Schulung und Lifecycle-Strategien.
- Zentrale Governance mit dezentraler Verantwortung: Klinische Fachbereiche sollen Applikationen mitgestalten, aber nicht in Eigenverantwortung betreiben. Klare Rollenverteilung (z. B. „Systemverantwortung Klinik“ vs. „Betriebsverantwortung IT“) erhöht Nachvollziehbarkeit und reduziert Haftungsrisiken.
- IT als klinischer Partner, nicht als Dienstleister: Die Transformation des IT-Bereichs zu einem strategischen Mitgestalter medizinischer Prozesse erfordert dialogorientierte Zielarchitekturen. Gemeinsame Roadmaps, Use-Case-Clustering und frühe Einbindung fördern realistische, tragfähige Lösungen.
- Technologieverantwortung mit Fachverstand: Klinische Applikationen mit patientenbezogener Relevanz müssen als Teil der digitalen Versorgungsinfrastruktur behandelt werden – inklusive Monitoring, Security Review und datenschutzrechtlicher Klassifikation.
Fazit
Spezialisierung in der Medizin darf nicht zu informatischer Fragmentierung führen. Klinische Applikationen sind kein Nebenprodukt, sondern zentrale Werkzeuge in der Leistungserbringung – mit hoher Relevanz für Versorgungssicherheit, Datenschutz und IT-Betrieb. Ein strukturiertes Applikationsmanagement vereint zentrale Steuerbarkeit mit dezentraler Fachlogik – und bildet damit die Grundlage für nachhaltige Digitalisierung im Spital.